Zusammenfassung
- Definition:Extrapulmonale Manifestation der Tuberkulose mit Kombination aus Osteomyelitis und Arthritis der Wirbelsäule.
- Häufigkeit:Weltweit über 10 Mio. Tuberkulose-Fälle pro Jahr.
- Symptome:Klassisch: schleichend einsetzende Rückenschmerzen, auch in Ruhe, bei immunsupprimierten Patient*innen.
- Befunde:Bei etwa 50 % der Patient*innen treten neurologische Ausfälle auf, bei pathologischen Wirbelkörperfrakturen Kyphose, Klopfschmerz über betroffenem Wirbelsäulenabschnitt.
- Diagnostik:Quantiferon-Test zur laborchemischen Diagnostik auf Tuberkulose.
MRT ist die bildgebende Diagnostik der Wahl bei Verdacht auf spinale Beteiligung.
Diagnosesicherung per Punktion oder offener Biopsie. - Therapie:Medikamentöse Kombinationstherapie über mindestens 9 Monate. In schweren Fällen ggf. zusätzlich operatives Vorgehen mit chirurgischer Fokussanierung und Stabilisierung der Wirbelsäule.
Allgemeine Informationen
Definition
- Synonym: Morbus Pott1, spezifische Spondylodiszitis
- Extrapulmonale Manifestation der Tuberkulose mit Kombination aus Osteomyelitis und Arthritis der Wirbelsäule1
Häufigkeit
- Inzidenz der Tuberkulose generell
- weltweit geschätzt jährlich 10,6 Mio. Neuerkrankungen; eine der weltweit bedeutendsten Infektionskrankheiten
- Ossäre Manifestation der Tuberkulose
Ätiologie und Pathogenese
- Typischerweise extraspinale Infektion mit Tuberkulose und anschließend hämatogene Dissemination in die Wirbelsäule1
- Vor allem immungeschwächte Personen sind betroffen (s. u. prädisponierende Faktoren).
- Die Infektion breitet sich meist über die vorderen Längsbänder entlang der Bandscheiben aus.
- nahezu spiegelbildlichen Destruktion im Knochengewebe ober- und unterhalb der Bandscheibe
- Bei rascher Einschmelzung kann es zu Wirbelkörperkompressionsfrakturen mit Gibbusbildung kommen.
- Bei Infektionen der Lendenwirbelsäulen ist eine Abszessbildung im Psoas typisch.
- Eine neurologische Symptomatik bei Mitbeteiligung des Spinalkanals ist möglich.
Prädisponierende Faktoren
- Eine ossäre Manifestation der Tuberkulose ist bei immungeschwächten Personen deutlich häufiger, z. B. bei
- HIV
- Diabetes mellitus
- Tumorerkrankungen
- Alkohol-/Drogenabhängigkeit
- hohem Alter
- medikamentös induzierter Immunsuppression (z. B. Biologika, insbesondere TNF-alpha-Inhibitoren)
- Orte mit Überbevölkerung2
ICD-10
- A18 Tuberkulose sonstiger Organe
- A18.0 Tuberkulose der Knochen und Gelenke
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Wegen unspezifischer Symptomatik und sehr seltener Inzidenz besteht häufig eine lange Latenz bis zur Diagnosestellung.
- Wichtig: Bei immunsupprimierten Patient*innen mit Rückenschmerzen Differenzialdiagnose Spondylitis tuberculosa in Betracht ziehen!
- Quantiferon-Test zur laborchemischen Diagnostik auf Tuberkulose
- MRT ist die bildgebende Diagnostik der Wahl bei Verdacht auf eine spinale Beteiligung.
- Eine Diagnosesicherung per Punktion oder offener Biopsie soll angestrebt werden.
Differenzialdiagnosen
- Spondylarthrose
- Spondylodiszitis durch andere Erreger
- Spondylolisthesis
- Bandscheibenvorfall
- Unspezifische Kreuzschmerzen, akut oder chronisch
- Morbus Scheuermann
- Tumorbedingte Destruktion der Wirbelsäule
Anamnese
- Klassisch: Rückenschmerzen in Ruhe bei immunsupprimierten Patient*innen2
- Über 1/4 der Patient*innen mit Spondylitis tuberculosa hat auch Lungentuberkulose.1
- lang anhaltender Husten, sukzessiv mit Auswurf
- Gewichtsabnahme und Verschlechterung des Allgemeinzustands
- Fieber und Nachtschweiß
- Anamnestische Fragen, um die Wahrscheinlichkeit einer Tuberkulose abzuschätzen:
- Langer Kontakt zu erkrankten Personen/Risikogruppen?
- Bereits durchgemachte Tuberkulose (Re-Aktivierung)?
- Ist das Herkunftsland ein Risikogebiet für Tuberkulose?
- Immunsuppression?
- sowohl durch Medikamente als auch Vorerkrankungen
- Alkohol- oder Drogenabusus?
Klinische Untersuchung
- Beim klinischen Vollbild Pott-Trias
- Kyphose
- Abszessbildung
- neurologische Symptomatik durch Rückenmarkkompression
- Inspektion
- Deformität der Wirbelsäule, Kyphose
- Palpation
- Klopfschmerz über den betroffenen Wirbelkörpern
- Funktionsprüfung
- neurologische Defizite, z. B. radikuläre Symptomatik oder Cauda-equina-Syndrom bei Beteiligung des Spinalkanals
Weitere Untersuchungen in Hausarztpraxis
- Labor
- Testverfahren, ob sich das Immunsystem mit Tuberkulose-Bakterien auseinandergesetzt hat.
- Interferon-gamma Release Assays (IGRA) und Tuberkulin-Hauttest
- Beide Tests erlauben keine Unterscheidung zwischen aktiver und latenter Infektion.
- Für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren wird wegen der höheren Spezifität ein IGRA empfohlen.
- Interferon-gamma Release Assays (IGRA) und Tuberkulin-Hauttest
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Bildgebung
- Röntgen der Wirbelsäule
- Basisdiagnostik bei unspezifischen Rückenschmerzen
- MRT mit Kontrastmittel
- Bildgebung der Wahl wegen hoher Sensitivität (96 %) und hoher Spezifität (94 %)
- Röntgen der Wirbelsäule
- Biopsie
- Zur Diagnosesicherung bei Spondylitis tuberculosa soll immer eine Biopsie angestrebt werden.
- Aufarbeitung der Probe: Histologie, Mikroskopie, Nukleinsäureamplifikationstest und Kultur aus unfixiertem Material
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung Einweisung in ein Krankenhaus
Therapie
Therapieziele
- Die Infektion beseitigen.
- Schmerzen lindern.
- Die Struktur bzw. Funktion der Wirbelsäule wiederherstellen und bewahren.
Allgemeines zur Therapie
- Eine medikamentöse Therapie wird bei allen Patient*innen durchgeführt.2
- Die Gesamtdauer der medikamentösen Therapie soll mind. 9 Monate betragen.
- 2 Monate Initialphase mit 4 Antituberkulotika, 7 Monate Kontinuitätsphase mit 2 Antituberkulotika
- Sobald schmerzbedingt möglich, erfolgt die Mobilisation im Korsett.
- Bei neurologischen Ausfällen, Deformitäten, Instabilitäten oder Versagen der medikamentösen Therapie Operation zur chirurgischen Herdsanierung und Stabilisierung der Wirbelsäule
Medikamentöse Therapie
- 2 Monate Initialphase mit 4er-Kombination aus:
- Isoniazid
- Rifampicin
- Pyrazinamid
- Ethambutol
- 7 Monate Kontinuitätsphase mit 2er-Kombination aus:
- Isoniazid
- Rifampicin
- Für mehr Informationen und Anwendungshinweisen zu den eingesetzten Medikamenten siehe den Artikel Tuberkulose.
Operative Therapie
- Durch die o. g. medikamentöse Chemotherapie ist ein operatives Vorgehen nur noch in folgenden Situationen notwendig:1-2
- neurologische Ausfälle
- Deformitäten
- Instabilitäten
- Versagen der medikamentösen Therapie, Rezidive
- nicht ertragbare Schmerzen
- große paraspinale Abszesse
- Vorgehen1
- radikales Débridement
- dorsale Instrumentierung zur Stabilisierung der Wirbelsäule
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Unbehandelt schreitet die Erkrankung in der Regel langsam fort.
Komplikationen
- Abszesse
- Wirbelsäulendeformitäten, insbesondere Kyphose
- damit einhergehend funktionelle Einschränkungen, chronische Schmerzen
- Neurologische Ausfälle
Prognose
- Bei frühzeitig eingeleiteter Therapie sind die medikamentösen Therapiemaßnahmen sehr effektiv und führen zu einer guten Prognose.1
- Bei später Diagnosestellung Letalität bis zu 12 %
- Negative prognostische Faktoren neben der späten Diagnosestellung umfassen:2
- > 3 Wirbel betroffen, Kyphose > 60 Grad
- neurologische Defizite
- hohes Alter
- Immundefizienz
- medikamentöse Resistenzen
- Compliance der Patient*innen
Verlaufskontrolle
- Langfristige Verlaufskontrollen sind empfohlen, da auch im späten Verlauf Komplikationen wie eine Re-Aktivierung der Tuberkulose oder eine Instabilität der Wirbelsäule auftreten können.1
Quellen
Literatur
- Hidalgo JA. Pott Disease (Tuberculous Spondylitis). Medscape, last updated Feb 18, 2022. emedicine.medscape.com
- Viswanathan VK, Subramanian S . Pott Disease. Treasure Island: StatPearls Publishing, 2019. europepmc.org
- Liu Z, Wang J, Chen GZ, et al. Clinical Characteristics of 1378 Inpatients with Spinal Tuberculosis in General Hospitals in South-Central China. BioMed Research International 2019. www.hindawi.com
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
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