Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe
Red Flag |
Abwendbar gefährliche Verläufe |
Visusverlust, -verminderung |
Iridoyzklitis, Glaukomanfall, Endophthalmitis
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Sehstörung, Farbringe, harter Bulbus |
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Kontaktlinsenträger*in mit akut einseitig schmerzendem Auge |
Infektion, Akanthamöben-Keratitis, Pseudomonas-Infektion |
Kürzlich am Auge operierte Patient*in |
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Hautausschlag/Vesikel |
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Trauma |
Orbitabodenfraktur, Verbrühung, Verätzung, penetrierende Verletzung |
Blepharospasmus nach Trauma |
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Arbeit mit Metall oder anderen Spänen |
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„Mouches volantes“ |
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„Rußregen“ |
Allgemeine Informationen
Definition
- Akutes rotes Auge: maximal bis zu 7 Tage
- Chronisches rotes Auge: länger als 7 Tage
- Mögliche Formen
- erweiterte oder geplatzte und dadurch sichtbare Blutgefäße im Auge
- Konjunktivale Injektion: Erweiterung der oberflächlichen Blutgefäße in der Bindehaut; weiter vom Hornhautrand entfernt gelegen.
- Ziliare Injektion: Erweiterung der Blutgefäße am Hornhautrand; ist auf die Sklera begrenzt und zeigt sich in blauroter Färbung, da die betroffenen Blutgefäße tiefer liegen.
- Sklerale Injektion: Erweiterung der in der Sklera gelegenen Blutgefäße, tritt als lokale Rötung in Erscheinung.
- Hyposphagma: scharf begrenzte subkonjunktivale Blutung von tiefroter Färbung
- Hyphäma: Bluterguss in die vordere Augenkammer
Häufigkeit
- Augenprobleme machen 2–3 % der Beratungsanlässe in der hausärztlichen und Notfallversorgung aus.
- Dies entspricht ca. 4–10 Patient*innen pro Woche.
- In den meisten Fällen imponiert klinisch ein rotes Auge.
Abwendbar gefährliche Verläufe
ICD-10
- H57.- Sonstige Affektionen des Auges und der Augenanhangsgebilde
- H57.9 Affektion des Auges und der Augenanhangsgebilde, nicht näher bezeichnet
Differenzialdiagnosen
Konjunktivitis, infektiöse
- Siehe Artikel Infektiöse Konjunktivitis.
- Konjunktivale Injektion, wässrige, schleimige oder eitrige Exsudation
- Ggf. von eitrigem Sekret verklebte Augenlider
- Ggf. Chemosis (glasiges Ödem)
- Fremdkörper- und Druckgefühl
- Evtl. Photophobie und Epiphora
- Manifestiert sich zu Beginn an einem Auge, greift aber im Verlauf meist auf das andere Auge über
Ursachen
- Bakteriell: in Industrieländern am häufigsten Staphylo-, Strepto- oder Pneumokokken
- Schmerzen, starke Rötung, mukopurulentes Sekret mit gelblicher Krustenbildung
- Siehe Artikel Trachom und Trichiasis
- häufigste Augenerkrankung weltweit, verursacht durch Chlamydia trachomatis1
- Viral: Adenovirus
- bei Keratokonjunktivitis epidemica: meist einseitiger Beginn, dann beidseits stark schmerzhafte, juckende, lichtempfindliche, rote und tränende Augen, wässrig-schleimige Sekretion ggf. korneale Beteiligung2
- hoch kontagiös
- direkter Nachweis von Adenoviren im Konjunktivalabstrich
- Viral: Herpes-simplex-Keratokonjunktivitis
- periokulär typische Herpes-Effloreszenzen und Bläschen
- stark schmerzende, juckende, lichtempfindliche, rote und tränende Augen
- Viral: Zoster ophthalmicus
- dermatologische Veränderungen dermatombegrenzt
- Sonderform: Keratokonjunktivitis bei Kontaktlinsenträger*innen (Akanthamöben oder Pseudomonas aeruginosa)
- bei Pseudomonas aeruginosa: perakut rotes Auge mit Hornhautulcus, grünliche Schleimbildung
- Kontaktlinsen und Aufbewahrungsbehältnis zur bakteriologischen Untersuchung zur Augenärzt*in mitgeben.
- potenziell visusbedrohend1
Konjunktivitis, nichtinfektiöse
- Äußere Reize (Rauch, Staub usw.)
- Verminderte Tränenproduktion
- Stellungsanomalien der Lider mit mechanischer Reizung
- Keratopathia e lagophthalmo
- Unkorrigierte Refraktionsfehler
- Neurothrophe Keratopathie
- aufgehobene Hornhautsensibilität (z. B. bei Z. n. Voroperationen im Kopfbereich, Z. n. Zoster, Tumoren, Hirnstammblutung, MS, Diabetes mellitus)
- ausgeprägter Augenbefund bei subjektiv geringer Schmerzwahrnehmung
- Therapie: Vermeidung des Auslösers. evtl. vasokonstriktive Augentropfen (Tetrazolin) höchstens für wenige Tage
Konjunktivitis, allergische
- Siehe Artikel Allergische Konjunktivitis
- Tritt saisonal in Verbindung mit Heuschnupfen oder perennial beispielsweise als Reaktion auf Hausstaubmilben oder Schimmel auf.
- Beide Augen sind betroffen.
- Akutsymptome sind beidseitige Lidschwellung, Epiphora, Jucken und konjunktivale Bindehauthyperämie mit Chemosis.
Hyposphagma
- Plötzliche subkonjunktivale Blutung, oft sektoral.1
- möglicherweise häufiger unter oraler Antikoagulation und/oder schlecht eingestelltem arteriellem Hypertonus
- Oft wird von zuvor stattgefundenen Valsalva-Manövern (Husten, Schnäuzen, schweres Heben) berichtet.
- Visus und Pupillenreaktion normal
- spontane Resorption nach 2–4 Wochen
Herpes-simplex-Keratitis
- Siehe Artikel Herpes-simplex-Keratitis
- Hornhautentzündung durch Herpes simplex mit stromalen Hornhautulzera
- Häufigste Form von Keratitis
- Meist einseitige Schmerzen, akuter Beginn, Lichtempfindlichkeit, Tränenfluss, Blepharospasmus, bei zentraler Läsion Visusbeeinträchtigung
Fremdkörper auf der Horn- oder Bindehaut
- Siehe Artikel Fremdkörper auf der Kornea oder Konjunktiva
- In der Hausarztpraxis häufig, mit meist mit bekanntem Verletzungshergang
- Schmerzen, gesteigerte Lichtempfindlichkeit, Fremdkörpergefühl im Auge, Tränenfluss, Augenrötung
- Leichte Injektion/Gefäßzeichnung, anhaftender Fremdkörper
- Auf Zeichen einer perforierenden Verletzung achten
Hornhauterosion
- Siehe Artikel Korneaerosion
- Oberflächlicher Hornhautdefekt (das Epithel betreffend)
- durch kleine Traumata oder falsche Anwendung von Kontaktlinsen
- Schmerzen, gesteigerte Lichtempfindlichkeit, Fremdkörpergefühl, Tränenfluss
- Injektion/Gefäßzeichnung, Blepharospasmus
- Nach Bohren oder Flexen häufig metallischer Fremdkörper mit Rosthof
- Infektiös (bakterielle, viral oder durch Pilze) bedingte Hornhauterosionen sollen dringlich augenärztlich vorgestellt werden, da die Gefahr von Visusverlust und Augenperforation besteht.1
Schneeblindheit/Verblitzung
- Siehe Artikel UV-Keratitis (Schneeblindheit, Verblitzung)1
- Tritt häufig nach starker UV-C-Einstrahlung auf, z. B. Schweißen ohne Schutzbrille, Aufenthalt im Hochgebirge.
- Die Latenzzeit beträgt meist 6–12 Stunden.
- sehr starke Schmerzen, gesteigerte Lichtempfindlichkeit, Fremdkörpergefühl, Blepharospasmus
- kann zu einer bis zu 48 Stunden andauernden funktionellen Erblindung durch Blepharospasmus führen
- klingt innerhalb von 12–24 Stunden spontan ab
Episkleritis
- Siehe Artikel Episkleritis
- Entzündung der Episklera
- auf einen Sektor begrenzte Augenrötung im Bereich der Lidspalte, überwiegend konjunktivale Injektion
- nur mäßig schmerzhaft
- selbstlimitierend, kann wiederholt auftreten
Skleritis
- Siehe Artikel Skleritis
- Relativ selten, gehäuft bei Frauen
- Gehäuftes Auftreten auch bei Patient*innen mit systemischen Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Vaskulitiden)
- ausgeprägte Bulbusschmerzen, oftmals reduzierte Sehkraft, Hyperämie
- Erweiterung tiefer skleraler Gefäße1
- potenziell visusbedrohend
Iridozyklitis und Uveitis
- Siehe Artikel Iridozyklitis und Uveitis
- Verhältnismäßig selten
- Ursachen u. a.: entzündliche Systemerkrankungen, Infektionen, Traumata
- Leitsymptome der Iritis sind Photophobie, eine ziliare Injektion und das Fehlen der für eine primäre Konjunktivitis typischen Absonderung von Sekret.
Akutes Glaukom
- Siehe Artikel Akutes Glaukom
- Anlagerung der peripheren Iris an die Hornhaut und dadurch Verlegung der Abflussbereiche des Kammerwassers mit starker Erhöhung des Augeninnendrucks
- Visusverschlechterung, Farbringe um Lichtquellen (Halo), starke Schmerzen mit Ausstrahlung in Kopf, Zähne, durch Vagusreizung sekundär abdominale Beschwerden, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit
- verminderte oder ausbleibende Pupillenreaktion, Pupille, entrundet, leicht erweitert und lichtstarr
- meist einseitig erhöhter Druck bei Palpation von oben bei Blick der Patient*in nach unten („steinharter“ Bulbus)
- Rascher Therapiebeginn erforderlich!
Endophthalmitis
- Siehe Artikel Endophthalmitis
- Einseitige starke Schmerzen, Sehschärfenminderung, geschwollene Lider, konjunktivale Hyperämie, wässrige oder eitrige Absonderungen, Hornhautödem/-Ulzeration, Hypopyon
- Tritt fast immer innerhalb einer Woche (max. 3 Wochen) nach einer Augenoperation oder intravitrealen Injektion auf
Blepharitis
- Siehe Artikel Blepharitis.
- Entzündung der Augenlider
- Rote und verdickte Augenlidränder, narbig veränderte Lidkanten mit Wimpernausfall
- Augenrötung bei Mitbeteiligung der Konjunktiva
Augenverletzung
Anamnese1
- Folgendes ist abzuklären:
- Beginn der Beschwerden
- Dauer
- akuter oder subakuter Beginn
- Schmerzen
- Ausdehnung
- Einseitigkeit, Beidseitigkeit
- Lokalisation
- Sehverlust
- Verlauf der Rötung
- Begleitsymptome
- gesteigerte Lichtempfindlichkeit
- Allergien
- Kontaktlinsen
- entzündliche systemische Erkrankungen, z. B. rheumatoide Arthritis, SLE
- Diagnostische Hinweise1
- wässriges Sekret: V. a. Virus-Konjunktivitis
- reichlich schleimiges Sekret: V. a. Chlamydien-Konjunktivitis
- schleimig-eitriges Sekret: V. a. bakterielle Infektion
- Sekret stärker am Morgen: V. a. Allergie
- Juckreiz: normalerweise bei Allergie
- Lichtscheu: Hinweis auf Uveitis oder Hornhautdefekt
Klinische Untersuchung
Allgemeines
- Immer beide Augen untersuchen
- Beide Augen vergleichen
- Bei einem akuten, einseitigen, schmerzenden roten Auge sollte immer eine Fremdkörpereinwirkung ausgeschlossen werden.
- Eine unkomplizierte Bindehautentzündung betrifft meist beide Augen.
- Die präaurikulären Lymphknoten abtasten: Eine Schwellung weist auf eine viral verursachte Bindehautentzündung hin.
Augenuntersuchung
- Einseitige Beschwerden
- Ausschluss einer Fremdkörpereinwirkung
- Inspektion der Kornea
- Eine Erosio oder ein Ulcus corneae können oft schon mit bloßem Auge erkannt werden.
- Palpatorische Überprüfung des Augeninnendrucks im Seitenvergleich, um einen Glaukomanfall auszuschließen.
- Ist bei erheblicher Gewalteinwirkung oder Verdacht auf perforierende Verletzung kontraindiziert.
- Augenlider
- Sekretvermehrung (Farbe)1
- Segmentale, konjunktivale oder ziliäre Injektion?1
- Pupillenreaktion, gleichzeitiger Prüfung auf Lichscheu1
- Ggf. Fremdkörpersuche1
- Bei entsprechenden Beschwerden und Erfahrung im Umgang mit dem Ophthalmoskop
- Rotreflex
- Ophthalmoskopie
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
Akute Vorstellung in ophthalmologischer Praxis
- Bei Leitsymptomen Schmerzen, Visusminderung, steinharter Bulbus und/oder Beteiligung der Hornhaut
- Bei chronischem, einseitigem, schmerzfreiem rotem Auge mit Lidschlussdefizit
- Verdacht auf Perforation (z. B. Anamnese mit Hinweisen auf Metall- oder andere Späne)
- Iridozyklitis und Uveitis
- Skleritis
- Infektiös bedingte Korneaerosion1
- Herpeskeratitis
- Zoster ophthalmicus
- Herpes-simplex-Keratitis
- Bei Keratitis photoelectrica, falls nach 24–48 Stunden keine Besserung eintritt
Klinikeinweisung
- Positive Fremdkörper-/Traumaanamnese
- Kürzlich am Auge operierte Patient*innen
- Verätzung (insbes. durch Laugen)
- Akutes Glaukom
- Endophthalmitis
- Orbitabodenfraktur
- Kontaktlinsenträger*innen mit akutem, einseitigem schmerzendem rotem Auge
Maßnahmen
- Immer versuchen, die Ursache eines geröteten Auges zu ermitteln. Dringlichkeit und Art der Maßnahmen richten sich nach dem Befund.
- Bei viralen Entzündungen der Bindehaut sind Antibiotika nicht wirksam und nicht empfohlen.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Episkleritis (Quelle: Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Episcleritis)

Zoster ophthalmicus

Hyposphagma

Herpes-Simplex-Keratitis, Anfärbung mit Fluorescein

Keratokonjunktivitis

Skleritis
Quellen
Literatur
- BMJ BestPractice. Assessment of red eye. Stand 26.12.2022 (letzter Zugriff am 26.01.2023) bestpractice.bmj.com
- Ghebremedhin B. Human adenovirus: Viral pathogen with increasing importance. Eur J Microbiol Immunol (Bp). 2014 Mar;4(1):26-33. doi: 10.1556/EuJMI.4.2014.1.2. Epub 2014 Mar 14. PMID: 24678403; PMCID: PMC3955829. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München