Transfusionsreaktionen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Symptome und Reaktionen unterschiedlichen Ausmaßes, die im Zusammenhang mit einer Transfusion von Blut und Blutprodukten auftreten können.

Häufigkeit

  • Jährlich ca. 7 Verdachtsfälle und 0,05 Todesfälle pro 1 Mio. Einw.
  • Die häufigsten akuten Reaktionen sind Fieber, Schüttelfrost und Urtikaria.
  • Die häufigsten schwerwiegenden Reaktionen sind: 
    • akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion (ATR)
    • transfusionsassoziierte Volumenüberladung (TACO)
    • hämolytische Transfusionsreaktion (HTR)
    • Fehltransfusionen.

Diagnostische Überlegungen

  • Es werden akute von verzögerten sowie immunologisch von nichtimmunologisch ausgelösten Transfusionsreaktionen unterschieden.
  • Es kann schwierig sein, Transfusionsreaktionen von der Grunderkrankung abzugrenzen.

ICD-10

  • T80.9 Nicht näher bezeichnete Komplikation nach Infusion, Transfusion oder Injektion zu therapeutischen Zwecken
  • Y57 Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung von Arzneimitteln und Drogen
  • Y62 Zwischenfälle als Folge von unzulänglichen aseptischen Kautelen bei chirurgischem Eingriff oder medizinischer Behandlung
    • Y62.1 Bei Infusion oder Transfusion
  • Y63 Zwischenfälle als Folge von Dosierungsfehlern bei chirurgischem Eingriff oder medizinischer Behandlung 
    • Y63.0 Verabreichung einer exzessiven Menge Blut oder sonstiger Flüssigkeit bei Transfusion oder Infusion 
  • Y65 Sonstige Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff oder medizinischer Behandlung
    • Y65.0 Inkompatibles Blut bei Transfusion  

Differenzialdiagnosen

Akute Transfusionsreaktionen

Akute intravasale hämolytische Transfusionsreaktion (AHTR)

  • Natürlich vorkommende Antikörper der empfangenden Person reagieren mit den Antigenen der spendenden, wodurch es unmittelbar zur Komplementaktivierung und intravasalen Hämolyse kommt.
    • Die häufigste Ursache ist die AB0-Unverträglichkeit durch Verwechslung von Blutproben und/oder Blutpräparaten.
    • Eine weitere Ursache ist die Transfusion hämolytischer Erythrozytenkonzentrate (durch falsche Lagerung oder unsachgemäßer Erwärmung der Produkte).
  • Die Symptome treten meist innerhalb der ersten 5–15 min nach Transfusionsbeginn auf.
  • Symptome
    • Schmerzen an der Injektionsstelle
    • Fieber und Schüttelfrost
    • Übelkeit
    • Brustschmerzen und Engegefühl
    • Dyspnoe
    • Unruhe, Angst
    • rötlicher Urin
    • oligurisches akutes Nierenversagen (bei schwerer Hämoglobinurie)
    • Schockzustand (in sehr schweren Fällen)
      • Hautblässe, kalter Schweiß, Dyspnoe, Hypotonie und ggf. Kreislaufversagen
    • In Narkose können Blutdruckabfall, diffuse Blutungen und Oligurie die einzigen Zeichen einer hämolytischen Transfusionsreaktion sein.
  • Labor
  • Therapie
    • Sofortiges Abbrechen der laufenden Transfusion!
    • Zugang offen halten!
    • Überwachung der Vitalfunktionen
      • Puls, Blutdruck und Atmung
    • Identitätskontrolle Patient*in
      • Hat die Person die richtige Blutkonserve erhalten, ist eine Verwechslung ausgeschlossen?
      • Wiederholung des AB0-Identitätstest (Bedside-Test)
    • Kontakt mit der Blutbank aufnehmen.
      • neue Blutprobe zur Kompatibilitätskontrolle
      • Blutkonserve mit ausgefülltem Meldeformular zur Transfusionsreaktion an die Blutbank schicken.
      • Vermeidung einer weiteren Überkreuz-Verwechslung
    • reichlich intravenöse Flüssigkeitszufuhr
      • Wichtig, um eine gute Diurese aufrechtzuerhalten.
    • symptomatische Behandlung
      • abhängig vom Zustand der Betroffenen
    • Keine weiteren Transfusionen,
      • bis die Blutbank die Reaktion untersucht und neue Transfusionsempfehlungen gegeben hat.
    • evtl. Gabe von Immunglobulinen

Febrile nichthämolytische Transfusionsreaktion ((FNHTR)

  • Durch Freisetzung von Zellinhaltsstoffen aus Leukozyten kann es während oder innerhalb von 4 Stunden nach Transfusion zu Fieber und Schüttelfrost, begleitet von Kopfschmerzen und Übelkeit kommen.
  • Die febrile nichthämolytische Transfusionsreaktion verläuft in der Regel selbstlimitierend, evtl. Behandlung mit Antipyretika.
  • Eine Abgrenzung zur hämolytischen Transfusionsreaktion kann schwierig sein, im Zweifel Transfusion unterbrechen, venösen Zugang offenhalten, Überprüfen der ABO-Kompatibilität, Transfusion weiterer Blutkomponentenerst nach Klärung der Ätiologie.

Akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion (ATR)

  • Die akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion ist die häufigste schwerwiegende Transfusionsreaktion.
  • Während oder innerhalb 4 Stunden nach Transfusion kann es zu mukokutanen Symptomen kommen, die meist nicht schwerwiegend sind und auf eine symptomatische Behandlung mit Antihistaminika und/oder Glukokortikoiden ansprechen.
    • makulopapulöses (morbilliformes) Exanthem
    • Juckreiz
    • Urtikaria
    • lokalisiertes Angioödem
    • Ödem der Lippen, Zunge und Uvula
    • periorbitaler Juckreiz, Erythem und Ödem
    • konjuktivales Ödem
  • Es kann aber auch zu einer akuten, generalisierten und dann auch lebensbedrohlichen Hypersensitivitätsreaktion (Anaphylaxie) kommen.

Transfusionsreaktion durch bakterielle Kontamination 

  • Ist die zu transfundierende Komponente durch Bakterien kontaminiert, kann es zu einer bakteriellen Infektion bis hin zur Sepsis kommen.
  • Symptome sind ebenfalls Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen und/oder Diarrhö, ausgeprägte Hypotonie und Tachykardie.
  • Bei Verdacht auf eine transfusionsbedingte Sepsis
    • Ausstrich aus dem Blutpräparat mit Gramfärbung
    • Blutkulturen
    • empirische anitibiotische Breitspektrumbehandlung mit einer oder mehrerer Substanzen so früh wie möglich intravenös, später nach Antibiogramm
    • Sepsisbehandlung einleiten.

Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI)

  • Leukozytenreaktive Antikörper können die Mikrozirkulation der Lunge verlegen und zum Lungenödem bzw. Lungenversagen führen.
  • Klinische Risikofaktoren sind: 
  • Symptome
    • akute Atemnot
    • Hypoxämie
    • Lungeninfiltraten im Thorax-Röntgenbild
    • selten Hypotonie oder Fieber
  • Therapie
    • Sofortiges Abbrechen der laufenden Transfusion!
    • Venenzugang offen halten!
    • Bis zu 70 % der Patient*innen werden beatmungspflichtig.

Transfusionsassoziierte Volumenüberlastung (TACO)

  • Eine zu rasche Transfusionsgeschwindigkeit kann zur Überlastung des Kreislaufs führen.
    • Im weiteren Verlauf kann sich ein Lungenödem entwickeln.
  • Risikofaktoren sind: 
  • Durch langsame Transfusion wird dieses Risiko verringert.
  • Therapie
    • Abbruch der Transfusion
    • Patient*innen in eine aufrechte Position bringen.
    • Sauerstoffgabe
    • Diuretikum

Hypothermie

  • Bei schneller Substitution von 50 % des Blutvolumens kann es zu einer gefährlichen Absenkung der Körpertemperatur bis auf 32 °C kommen.

Hyperkaliämie

  • Bei hohen Transfusionsvolumina oder schneller Transfusionsgeschwindigkeit kann es insbesondere bei Patient*innen mit primär erhöhtem Kaliumspiegel zu einer Hyperkaliämie kommen.

Hypokalzämie (Citratintoxikation)

  • Eine Hypokalzämie kann bei rascher Transfusion (Transfusionsgeschwindigkeit > 50 ml/min) von Plasma oder Vollblut auftreten, besonders ausgeprägt bei Fresh Frozen Plasma (FFP).
  • Symptome
    • Blutdruckabfall
    • verlängertes QT-Intervall 
    • Arrythmien
  • Therapie
    • intravenöse Gabe von Kalziumchlorid oder -glukonat (zur raschen Korrektur der Hypokalzämie)

Hyperhämolytische Transfusionsreaktion (HHTR)

  • Seltener Abfall des Hb-Werts nach der Transfusion, auch später als 7 Tage nach der Transfusion möglich.
  • Häufiger bei Hämoglobinopathien (1–19 % bei Patient*innen mit Sichelzellanämie)
  • Therapie mit oralen Kortikosteroiden, schwere Formen mit i. v. Immunglobulin, i. v. Methylprednisolon, Rituximab oder Plasmaaustausch

Hypotensive Transfusionsreaktion (HAT)

  • Selten kommt es im Rahmen einer Transfusion durch Vasodilatation zu einem deutlichen Blutdruckabfall.

Verzögerte Transfusionsreaktionen

Transfusionsassoziierte Infektionen

  • Obwohl aufgrund moderner Untersuchungsmethoden beim Spender und Transfusionsblut das Risiko einer Infektionsübertragung sehr gering ist, können grundsätzlich Viren und andere Mikroorganismen über Blutpräparate übertragen werden.
  • Durch die Virusinaktivierung bei Plasmaprodukten wird die Übertragung von behüllten Viren verhindert.
  • Zu den Erregern, die durch Blutpräparate übertragen werden können, zählen:
  • Die Symptomatik besteht im Auftreten von infektionsspezifischen Krankheitszeichen nach Ablauf der Inkubationszeit (zeitlicher Zusammenhang von Transfusion und Erkrankungsbeginn).

Verzögerte hämolytische Transfusionsreaktion (DHTR)

  • Eine Hämolyse aufgrund von Antikörperbildung kann auch als verzögerte Reaktion (bis zu 14 Tage oder mehr) nach einer Transfusion auftreten.
  • Insbesondere, wenn im Vorfeld bei früheren Transfusionen bereits Antikörper gebildet wurden, kann es zu einer verspäteten Hämolyse kommen.
    • Sind irreguläre Antikörper nachzuweisen, hat eine Aufklärung und Beratung der Betroffenen sowie eine Eintragung in einen Notfallpass zu erfolgen, dies muss lebenslang bei allen künftigen Transfusionen berücksichtigt werden.

Transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Krankheit (ta-GvHD)

  • Die ta-GvHD ist eine Alloreaktion, die durch T-Lymphozyten im Spenderblut verursacht wird und sich gegen die Zellen des Empfängers (in der Regel immundefizient) richtet.
  • 4–30 Tage nach Transfusion kommt es zu:
    • Fieber
    • einem makulopapulösen Erythem
    • generalisierter Erythrodermie mit Blasenbildung
    • Übelkeit, Erbrechen
    • massiven Durchfällen
    • cholestatischer Hepatitis
    • Lymphadenopathie und Panzytopenie.
  • Eine sehr seltene, meist letal endende Reaktion.
  • Eine Bestrahlung der Blutkomponenten mit 30 Gy vermindert das Risiko.

Eisenüberladung, sekundäre Hämochromatose

  • Bei hohem Transfusionsbedarf  kann es zu einer Eisenüberladung des Körpers kommen.

Posttransfusionelle Purpura

  • Schwere, sehr seltene, antikörperinduzierte Thrombozytopenie, die bei alloimmunisierten Patient*innen 5–9 Tage nach der Transfusion eines thrombozytenhaltigen Blutpräparates  auftritt.
  • Meist bei Frauen im mittleren oder höheren Lebensalter mit Schwangerschaft oder Transfusion als Immunisierungsereignis in der Anamnese
  • Therapie
    • Transfusion eines kompatiblen Thrombozytenkonzentrats bei schwerer Blutungsneigung

Anamnese

  • Zeitpunkt der Transfusion
  • Begleiterkrankungen 
  • Vorhergegangene Transfusionen mit oder ohne unerwünschte Reaktionen
  • Begleitsymptome
    • Unwohlsein
    • Schmerzen
    • Dyspnoe
    • Oligurie
    • Hautveränderungen

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen

  • Erneuter AB0-Identitätstest (Bedside-Test)
  • Labor
  • Urin
    • Hämoglobinurie?
  • Blutkultur
    • bei Verdacht auf transfusionsbedingte Sepsis
  • O2-Sättigung
  • Röntgenthorax
    • bei Verdacht auf TRALI
    • ggf. Messung des zentralen Venendrucks zum Ausschluss einer Volumenüberlastung (TACO)

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Die meisten Transfusionsreaktionen treten im Krankenhaus bei stationären Patient*innen auf.
    • In hämatoonkologischen Praxen wird aber auch ambulant transfundiert, dann ggf. Klinikeinweisung bei V. a. Transfusionsreaktion.
  • Auch bei verspätet auftretenden Transfusionsreaktionen kann eine symptomorientierte Überwachung stationär notwendig sein.

Allgemeine Maßnahmen

  • Abbrechen der Transfusion je nach Schwere und Art der Symptomatik
  • Offenhalten des venösen Zugangs
  • Symptomatische Therapie
  • Transfusion weiterer Blutkomponenten erst nach Klärung der Ätiologie
  • Erneuter AB0-Identitätstest (Bedside-Test)
  • Information der Transfusionsverantwortlichen
  • Einsendung an die Blutbank 
    • Blutprobe zur Untersuchung der Transfusionsreaktion
    • Blutkonserve (mit restlichem Inhalt) und
    • ausgefülltes Meldeformular mit Informationen über die Transfusionsreaktion
    • Vermeidung einer weiteren Überkreuz-Verwechslung

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

 

Autor*innen

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge

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