Anaphylaxie, Erste Hilfe

Allgemeine Informationen

Definition

  • Akute systemische Reaktion mit Symptomen einer allergischen Sofortreaktion, die den ganzen Organismus erfassen kann und potenziell lebensbedrohlich ist.
    • Klinische Manifestation in einem oder mehreren der folgenden Bereiche: Allgemeinsymptome/Haut, Respiration, Herzkreislauf, Abdomen
  • Ausführlichere Darstellung siehe Artikel Anaphylaxie.

Häufigkeit

  • Ca. 0,3–2 % Betroffene in der Bevölkerung
  • Jährliche Inzidenz 2–3 Fälle/100.000 Einw.1-2
  • 1–3 Todesfälle pro 1000.000 Einw. jährlich
  • Zunahme der Inzidenz in den vergangenen Jahrzehnten2
  • Anstieg vor allem der
    • nahrungsmittelinduzierten Anaphylaxie bei Kindern
    • arzneimittelinduzierten Anaphylaxie bei Erwachsenen
  • Im Kindesalter sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen (häufigeres Auftreten von Nahrungsmittelallergien bei Jungen), nach der Pubertät ausgeglichene Geschlechterverteilung

Pathophysiologie

  • In der Regel IgE-vermittelte Reaktion
  • Die Symptomatik wird verursacht durch Mediatorenfreisetzung aus Mastzellen und basophilen Granulozyten.
  • Von den zahlreichen Mediatoren ist vor allem Histamin von zentraler Bedeutung für die anaphylaktische Reaktion.

Häufige Auslöser von Anaphylaxien

  • Die verschiedenen Auslöser sind bei Kindern und Erwachsenen in unterschiedlicher Häufigkeit für eine Anaphylaxie verantwortlich.
    • Nahrungsmittel: Kinder 60 %, Erwachsene 16 %
    • Insektengifte: Kinder 22 %, Erwachsene 52 %
    • Arzneimittel: Kinder 7 %, Erwachsene 22 %
    • sonstige: Kinder 5 %, Erwachsene 3 %
    • unbekannt: Kinder 7 %, Erwachsene 6 %

Klinik

  • Bei der klinischen Manifestation sind die folgenden Punkte zu berücksichtigen.
  • Betroffen sind vorwiegend (in absteigender Häufigkeit geordnet):
    • Haut
    • Atemwege
    • Herzkreislauf
    • Gastrointestinaltrakt
  • Beginn meist akut
    • aber auch verzögerter Beginn möglich, z. B. bei Erdnussallergie im Median 55 min nach Konsum
  • Die Symptome können in unterschiedlicher Weise gleichzeitig oder nacheinander auftreten.
  • Auch bei einer Reaktion zunächst "nur" vom Grad I ist die weitere Dynamik nicht absehbar.
    • Die Reaktion kann auf jeder Stufe zum Stillstand kommen und sich zurückbilden.
    • andererseits evtl. rasches Fortschreiten in Minuten bis hin zu Schock/Tod möglich
  • In 5–20 % der Fälle protrahierte oder biphasische Verläufe mit erneuter Symptomatik meist nach 6–24 h

Klassifikation der anaphylaktischen Reaktion

Diagnostik

  • Die frühzeitige Diagnose ist entscheidend und maßgeblich für die Behandlung, dabei sind vor allem zwei Szenarien zu berücksichtigen:
    1. akuter Beginn unter Beteiligung der Haut, der Schleimhaut oder beider und mindestens eines der folgenden Symptome:
      • respiratorische Kompromittierung, z. B. Dyspnoe, Bronchospasmus, Stridor, Hypoxämie bis zur respiratorischen Insuffizienz
      • fallender Blutdruck oder damit verbundene Symptome einer Endorganstörung, z. B. Kollaps, Synkope, Schock
      • schwere gastrointestinale Symptome, insbesondere bei Exposition gegenüber Non-Food-Allergenen
    2. akuter Beginn von Hypotonie, Bronchospasmus oder Kehlkopfbeteiligung nach Exposition gegenüber einem bekannten oder wahrscheinlichen Allergen, auch ohne typische Hautbeteiligung

Anamnese und Untersuchung

Schnelle Beurteilung nach dem ABCDE-Schema

  • A – Atemwege: kloßige Sprache, geschwollene Zunge
  • B – Belüftung: Beurteilung der Atmung (Sprechdyspnoe, Stridor, Giemen; optional: Auskultation, Pulsoximetrie)
  • C – Circulation: Puls (Stärke, Frequenz, Regelmäßigkeit), Blutdruck, Beurteilung der Rekapillarisierungszeit (vorzugsweise an Stirn oder Sternum)
  • D – Disability: Bewusstsein, Blutzuckermessung
  • E – Exposure: Inspektion leicht einsehbarer Hautareale sowie der Schleimhäute, Erfragen weiterer Beschwerden (z. B. Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen, thorakales Druckgefühl, Sehstörung, Pruritus)

Rasche Anamnese nach dem AMPLE-Schema

  • A – Allergien, Risikofaktoren (Asthma, andere Vorerkrankungen)
  • M – Medikation
  • P – Patientenvorgeschichte
  • L – Letzte Nahrungsaufnahme
  • E – Ereignisse: Was hat den Vorfall ausgelöst?

Therapie

Notfallbehandlung

  • Hilfe anfordern.
  • Auslöser stoppen, sofern möglich.
  • Lagerung
    • Grundstrategie ist Flachlagerung und Vermeidung abrupter Bewegungen, situationsabhängige Anpassung der Lagerung
      • Trendelenburg-Lagerung (Beine hoch) zur Verbesserung der Hämodynamik
      • bei Situationen mit führender Atemnot halbsitzende Lagerung
      • bei eingeschränktem Bewusstsein/drohendem Erbrechen stabile Seitenlage

Sofortige Gabe von Adrenalin i. m. (Außenseite des Oberschenkels)

  • Die mastzellstabilisierende und vasokonstriktorische Adrenalingabe ist die wichtigste therapeutische Maßnahme!
  • Adrenalin 1:1.000 (1 mg/ml), für die i. m. Injektion wird die unverdünnte Stammlösung verwendet:
    • Erwachsene: 0,3–0,6 ml
    • Kinder >30 kg: 0,3–0,6 ml
    • Kinder 15–30 kg: 0,15–0,3 ml
    • Kinder < 15 kg: 0,05–0,1 ml.
  • Tritt keine Besserung ein, kann die Gabe alle 5–10 min wiederholt werden.

Oxygenierung/Respiration

  • Bei kardiovaskulärer oder pulmonaler Reaktion sofortige Gabe von O2
    • möglichst über Atemmaske mit Reservoirbeutel
  • Bei Bronchospasmus/Larynxödem
    • Adrenalin über Vernebler (unverdünnte Lösung, z. B. 3–5 ml à 1 mg/ml)
      • Die inhalative Applikation von Adrenalin kann die parenterale Gabe nicht ersetzen!
    • Möglich ist auch die Gabe von Salbutamol (2 Hübe, bei ausbleibender Wirkung 4–8 Hübe) oder Terbutalin s. c.
  • Evtl. Freihalten der Atemwege mit Guedel-Tubus, eine selten notwendige Intubation wird meist erst im Rahmen einer notärztlichen Versorgung erfolgen.

Volumengabe/Kreislaufstabilisierung

  • Anlage eines möglichst großlumigen venösen Zugangs (ggf. auch mehrerer Zugänge)
  • Infusion kristalloider Lösung (NaCl 0,9 % oder Vollelektrolytlösung)
  • Rasche Gabe von 10–20 ml/kg KG, ggf. weitere Volumengabe bis zur Kreislaufstabilisierung
  • Bei schwerem Schock titrierende i. v. (oder intraossäre) Gabe von Adrenalin (0,01 ml/kg KG)
    • Für die intravenöse/intraossäre Gabe wird entweder 1 ml der handelsüblichen 1:1.000-Lösung (= 1 mg/ml Lösung) mit 9 ml NaCl 0,9 % verdünnt (Endkonzentration 1:10.000 = 0,1 mg/ml) oder die Adrenalin-Fertigspritze (1 mg/10ml) verwendet.
  • Bei Kreislaufstillstand kardiopulmonale Reanimation, siehe auch die Artikel:

Antihistaminika

  • Sollten zur Antagonisierung der Histaminwirkung nach initialer Stabilisierung der Vitalfunktionen verabreicht werden.
  • H1-Antagonist, z. B. Dimetinden i. v. (1 mg/ml)
    • Erwachsene > 60 kg KG: 1–2 Ampullen = 4–8 ml
    • 30–60 kg KG: 1 Ampulle = 4 ml
    • 7,5–30 kg KG: 1ml/10 kg KG
    • < 7,5 kg KG: 1 ml

Glukokortikoide

  • Antiasthmatische und unspezifische membranstabilisierende Wirkung
  • Verzögerter Wirkeintritt, Gabe erst nach Stabilisierung der Vitalfunktionen
  • Zum Beispiel Prednisolon
    • Erwachsene > 60 kg KG: 500–1.000 mg
    • 30–60 kg KG: 250 mg
    • 7,5–30 kg KG: 100 mg
    • < 7,5 kg KG: 50 mg

Notfallausstattung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen in der Praxis

  • Stethoskop
  • Blutdruckmessgerät
  • Pulsoxymeter, evtl. Blutzuckermessgerät
  • Stauschlauch, Venenverweilkanülen (in verschiedenen Größen), Spritzen, Infusionsbesteck, Pflaster zur Fixierung der Kanülen
  • Sauerstoff und Verneblerset mit Sauerstoffmaske (verschiedene Größen)
  • Beatmungsbeutel mit Masken (verschiedene Größen)
  • Absaugvorrichtung ggf. Guedel-Tubus
  • Volumen (z. B. balancierte Vollelektrolytlösung)
  • Arzneistoffe zur Injektion: Adrenalin, Glukokortikoid, H1-Rezeptorantagonist, kurzwirksamer Beta-2-Adrenozeptoragonist, z. B. Salbutamol zur Inhalation (bevorzugt als Inhalationslösung zur Anwendung über Verneblerset mit Maske, ggf. alternativ als Dosieraerosol mit Inhalierhilfe/Spacer/Maske, Autohaler o. Ä.)
  • Automatisierter externer Defibrillator

Quellen

Literatur

  1. Worm M, Eckermann O, Dölle S, et al. Triggers and treatment of anaphylaxis: an analysis of 4000 cases from Germany, Austria and Switzerland. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 367-375. doi:10.3238/arztebl.2014.0367 DOI
  2. Beyer K, Eckermann O, Hompes S, et al. Anaphylaxis in an emergency setting - elicitors, therapy and incidence of severe allergic reactions. Allergy 2012; 67: 1451-1456. doi:10.1111/all.12012 DOI

Autor

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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