Spondylodiszitis

Zusammenfassung

  • Definition:Osteomyelitis der Wirbelsäule mit übergreifender Infektion auf die Bandscheibe.
  • Häufigkeit:Jährliche Inzidenz ca. 12:100.000 Personen mit steigender Tendenz.
  • Symptome:Rückenschmerzen, vor allem nachts, und Beeinträchtigung des Allgemeinzustands. Oft B-Symptomatik.
  • Befunde:Schonhaltung. Klopfschmerz über betroffenem Segment. Teilweise neurologische Defizite.
  • Diagnostik:Anamnese (Red Flags). Körperliche Untersuchung mit ausführlichem neurologischem Status. Bildgebung per Röntgen und MRT. Erregeridentifizierung per Blutkulturen und ggf. bioptischer Sicherung.
  • Therapie:Meist konservative Therapie mit erregerspezifischer Antibiose über mind. 6 Wochen ausreichend. Bei neurologischen Defiziten, Abszess, Instabilität der Wirbelsäule oder Sepsis operatives Vorgehen indiziert.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Spondylitis: Osteomyelitis der Abschlussplatten der Wirbelkörper, meist sekundär auf die Bandscheibe übergreifend
    • bei Infektion von Wirbelkörper und Bandscheibe Spondylodiszitis
  • Diszitis: ausschließliche Infektion der Bandscheibe
    • Vorkommen bei Z. n. Nukleotomie oder bei pädiatrischen Patient*innen
  • Spezifische Spondylodiszitis: ausgelöst durch Mykobakterien, Brucellose oder Pilze
  • Unspezifische Spondylodiszitis: andere pyogene Erreger

Häufigkeit

  • Jährliche Inzidenz
    • ca. 12 Fälle pro 100.000 Personen
    • Tendenz steigend
  • Alter und Geschlecht
    • überwiegend Menschen in der 5.–8. Lebensdekade
      • 2. Gipfel bei jungen Menschen < 20 Jahre
    • Männer sind 1,5- bis 2-mal häufiger betroffen als Frauen.
  • Erreger
    • regional sehr variabel
    • 39 % Staphylokokken, 39 % gramnegative Erreger, 19 % Streptokokken, 11 % Mykobakterien, 19 % Streptokokken, 1–3 % Pilze
      • Polybakterielle Infektionen sind möglich, daher Prozentzahl > 100.
    • 75 % der Fälle endogene Infektionen (hämatogen oder per continuitatem) und 25 % der Fälle exogen (iatrogen, offenes Trauma)
  • Lokalisation
    • Lendenwirbelsäule mit 59 % am häufigsten betroffen, gefolgt von der Brustwirbelsäule mit 30 % und Halswirbelsäule mit 11 %
    • bei 20–50 % aller Spondylodiszitiden sind mehrere Segmente betroffen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Im Wesentlichen können mikrobielle Erreger die Strukturen der Wirbelsäule über drei Infektionsrouten erreichen:
    1. hämatogen (arteriell oder venös)
    2. per continuitatem
      • direkt oder lymphogen von benachbarten Infektionsherden, wie z. B. Gefäßprotheseninfektionen
    3. exogen
      • iatrogen durch operative Instrumentierung, Injektionen, Lumbalpunktion
      • offene Verletzung, Trauma
  • Durch progrediente Destruktion der Wirbelkörper ist eine Ausbreitung der Infektion auf Wirbelkörper-angrenzende Strukturen möglich, mit der Folge epiduraler, paravertebraler und auch Psoas-Abszesse.
  • Deutliche Zunahme der Inzidenz in den letzten Jahren durch:
    • verbesserte diagnostische Möglichkeiten
    • Zunahme der Zahl an Risikopatient*innen (multimorbide, alt, immunsupprimiert)
    • steigende Anzahl an Wirbelsäulen-Operationen, insbesondere spinalen Instrumentierungen

Altersspezifische Besonderheiten

  • Im Kindesalter überwiegen die Infektionen der Bandscheibe (Diszitis), da diese etwa bis zu einem Alter von 15 Jahren direkt vaskularisiert wird.
  • Nach Verkümmern der arteriellen Bandscheibenversorgung erfolgt im Erwachsenenalter eine Infektion primär über die reich vaskularisierten Endplatten der Wirbelkörper und der Spongiosa und sekundär der avaskulären Bandscheibe.

Disponierende Faktoren

ICD-10

  • M46.2 Wirbelosteomyelitis
  • M46.3 Bandscheibeninfektion

Diagnostik

Diagnostische Überlegungen

  • Bei Wirbelsäulenbeschwerden und entsprechender Anamnese (insbesondere Red Flags) sollte eine potenzielle Infektion im Bereich der Wirbelsäule ausgeschlossen und eine entsprechende Diagnostik in die Wege geleitet werden.
  • Diagnose basiert auf klinischen, laborchemischen, mikrobiologischen und radiologischen Befunden.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Lokalisation, Dauer und Intensität der Rückenbeschwerden
    • Typischerweise Schmerzen im betroffenen Wirbelsäulensegment, die in Ruhe, unter Belastung/bei Lagewechsel und auch in der Nacht auftreten.
    • Progredienz der Schmerzen bei körperlicher Aktivität
    • Cave: 15 % der Betroffenen haben keine Schmerzen!
  • Abfragen der Red Flags nach Casser, Seddigh und Rauschmann1
    • B-Symptomatik
    • starke nächtliche Schmerzen
    • durchgemachte bakterielle Infektion
    • zurückliegende Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule
    • i. v. Drogenabusus
    • Immunsuppression
    • maligne Grunderkrankung
    • Auslandsaufenthalt
    • Herkunft der Patient*innen
  • Risikofaktoren
  • Vorerkrankungen

Klinische Untersuchung

Inspektion

  • Inspektion der Wirbelsäule
  • Oft Schonhaltung zur Entlastung der ventralen Säule

Palpation

  • Häufig Klopfschmerzangabe über der Dornfortsatzreihe des betreffenden Wirbelsäulenabschnitts bei jedoch fehlender oder gering ausgeprägter Druckschmerzangabe

Funktionsprüfung

  • Beweglichkeitsprüfung
    • nach der Neutral-Null-Methode
    • alle Wirbelsäulenabschnitte von Halswirbelsäule bis zur Lendenwirbelsäule
  • Wiederaufrichtung aus der Inklination wird als schmerzhaft beschrieben (Pseudo-Gowers-Zeichen).
  • Stauchungsschmerz bei Fersenfall-Test

Neurologischer Status

  • Status ist, auch für die Dokumentation einer evtl. Verschlechterung, zwingend erforderlich.
  • Sensible und motorische Defizite der gesamten Wirbelsäulenabschnitte erfassen.
  • Verlust der Kontrolle über Blasen-Mastdarm-Entleerung?
  • Die in der Literatur oft angeführte Pott-Trias (Gibbus, Abszess, Lähmung) hat heutzutage lediglich historische Bedeutung.

Quick SOFA Score

  • Screeninginstrument für Sepsis
  • Tachypnoe (AF > 21/min), Hypotonie (NIBP syst. < 100 mmHg) und veränderte Bewusstseinslage (GCS < 15)
    • positiv bei mindestens 2 erfüllten Kriterien

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Laboruntersuchungen
    • Zur Basisdiagnostik soll die Erfassung des CRP-Wertes und die Bestimmung der Leukozytenzahl erfolgen.
    • Die Bestimmung der BSG ist unspezifisch und soll nicht angewendet werden.

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Empfehlungen zur Diagnostik gemäß der Leitlinie
  • Bildgebung
    • Röntgen
      • Die konventionell radiologische Aufnahme in zwei Ebenen im Stand sollte als Basisbefund und kann zur Verlaufskontrolle bei klinisch gesicherter Spondylodiszitis durchgeführt werden.
    • MRT
      • Die Magnetresonanztomografie der Wirbelsäule soll der Goldstandard im Diagnostikalgorithmus sein.
    • CT
      • Bei Vorliegen einer Kontraindikation für die MRT kann Kontrastmittel unterstützte CT als alternatives Verfahren erwogen werden.
      • zur präoperativen Planung
    • PET/CT
      • Die PET/CT kann als ergänzendes Verfahren erwogen werden, wenn die sichere Diagnosestellung durch eine MRT nicht möglich ist.
  • Erregernachweis
    • Erregernachweis vor Beginn der Antibiotikatherapie soll angestrebt werden.
    • Blutkulturen
      • Zum Erregernachweis sollen innerhalb von 24 Stunden bei allen Patient*innen, auch bei afebrilen und antibiotisch anbehandelten Patient*innen, mindestens 3 Blutkulturenpaare (aerob/anaerob) abgenommen werden.
    • Biopsie
      • Bei negativen Blutkulturen soll der Erregernachweis mittels Biopsie erfolgen. Dies kann CT-gestützt mittels Feinnadel oder Jamshidinadel, operativ mittels Jamshidinadel oder operativ offen durchgeführt werden.
    • molekularbiologische Untersuchungen
      • Bei negativem Kulturnachweis können molekularbiologische Untersuchungsverfahren konventionelle Verfahren ergänzen.
      • Bei Verdacht auf schwer kultivierbare Erreger (z. B. Tuberkulose) soll eine PCR erfolgen.
    • Fokussuche
      • Ein Algorithmus zur Fokussuche (Röntgenaufnahme des Thorax, allgemeinchirurgische laborchemische Parameter, Urinuntersuchung, Echokardiografie, Zahnstatus) bei Nachweis einer Spondylodiszitis soll erfolgen.

Indikationen zur Überweisung/Einweisung

  • Bei V. a. Spondylodiszitis Einweisung ins Krankenhaus

Therapie

Therapieziele

  • Infektsanierung
  • Schmerzlinderung
  • Erhalt/Wiederherstellung neurologischer Funktionen
  • Erhalt/Wiederherstellung der segmentalen Stabilität
  • Korrektur kyphotischer Fehlstellungen

Allgemeines zur Therapie

  • Neben der Behandlung der Spondylodiszitis ist auch eine Therapie der Grunderkrankung erforderlich.
  • Der Großteil der an einer Spondylodiszitis erkrankten Patient*innen kann unter suffizienter konservativer Therapie erfolgreich behandelt werden.
  • Jegliches neurologisches, motorisches oder vegetatives Defizit, eine spinale Instabilität und/oder kyphotische Fehlstellung und das Vorliegen einer Sepsis indizieren ein operatives Vorgehen.

Konservative Therapie

  • Eine nichtoperative Therapie ist indiziert, wenn
    • nur eine geringe/milde klinische Symptomatik vorliegt.
    • keine neurologischen Defizite vorliegen.
    • eine fehlende oder nur geringe knöcherne Destruktion in der Bildgebung vorliegt.
    • der Allgemeinzustand der Patient*innen keine Operation zulässt.

Schmerztherapie und Ruhigstellung

  • Eine suffiziente analgetische Behandlung ist von Beginn an von großer Bedeutung, um eine chronische Schmerzsymptomatik zu verhindern.
  • Spezielle medikamentöse Schmerztherapie für die Behandlung der Spondylodiszitis ist in der Literatur nicht beschrieben.
  • Akutschmerzbehandlung sollte daher in Ermangelung alternativer spezieller Evidenz nach dem WHO-Stufenschema durchgeführt werden.
  • Wesentliche Maßnahme zur Schmerzbehandlung ist auch Ruhigstellung, die zusätzlich für die Abheilung der Entzündung und zur Prävention einer Deformität wichtig ist.
    • Lagerung im Gipsbett für mindestens 3 Monate mittlerweile obsolet
    • Wirksame Schmerzbehandlung ist eine der Voraussetzungen für die Aktivierung und graduell zunehmende Belastung.
  • Bei weiterhin bestehenden starken Schmerzen (VAS > 6) und/oder erheblichen psychischen Belastungen trotz ausgeheilter Erkrankung sollte eine interdisziplinäre/-professionelle Besprechung unter Einbeziehung spezieller schmerztherapeutischer Kompetenz erfolgen.

Physiotherapie

  • Nach Ausschluss von Kontraindikationen oder Instabilitäten soll eine achsgerechte Mobilisation erfolgen und rückengerechtes Verhalten geschult werden.

Orthesenversorgung

  • Passagere Ruhigstellung in einer Orthese kann in Erwägung gezogen werden.
  • Ziel ist neben der Ruhigstellung die Entlastung der ventralen Strukturen der Wirbelsäule, um Schmerzen zu reduzieren und weitere Destruktion zu verhindern.

Antibiotische Therapie

  • Die Therapie sollte bei stabilen, nicht-septischen Patient*innen erst nach der Kultivierung des verursachenden Erregers erfolgen.
  • Bei Patient*innen mit schweren oder progredienten neurologischen Ausfällen oder
    hämodynamischer Instabilität und im Fall von kulturnegativen Spondylodiszitiden ist eine empirische antibiotische Therapie indiziert.
  • Es wird für 2 Wochen eine intravenöse Antibiotikatherapie empfohlen, der sich eine mindestens 4-wöchige (bei Risikopatient*innen mindestens 6-wöchige) orale Antibiotikabehandlung anschließt.
  • Spezifische Spondylodiszitis
    • Liegt eine tuberkulöse Entzündung an der Wirbelsäule vor, wird in der ersten Phase eine Vierfachtherapie mit Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol für 2 Monate begonnen.
    • Anschließend erfolgt die weitere Therapie mit Isoniazid und Rifampicin für weitere 7 Monate.

Operative Therapie

  • Indikationen zur operativen Therapie liegen vor bei:
    • Sepsis und Präsepsis
    • relevanten neurologischen Defiziten
    • intraspinalem Empyem
    • Vorliegen eines ventralen, paravertebralen Abszesses > 2,5 cm
    • Therapieversagen (konservativ)
    • progressiven Instabilitäten und Deformitäten mit und ohne Schmerzen
      • segmentale Kyphosierung > 15°
      • Wirbelkörperkollaps > 50 %
      • Translation > 5 mm
  • Ziele der operativen Behandlung
    • radikale Infektsanierung durch Nekrosektomie, Debridement, Spülung und Drainage aller beteiligten Abszessformationen
    • Vermeidung und Verbesserung neurologischer Defizite durch Dekompression der entsprechenden neuronalen Strukturen
    • Wiederherstellung bzw. Korrektur der spinalen Stabilität und des sagittalen Profils der Wirbelsäule durch Rekonstruktion der ventralen Säule
    • frühe Stabilisierung mit der Möglichkeit einer raschen Remobilisierung der Patient*innen
    • Gewinnung von mikrobiologischen und histologischen Proben
  • Vorgehen
    • in der Regel einzeitige Versorgung mit Débridement und Stabilisierung per Instrumentierung und Fusion der betroffenen Wirbelsäulensegmente
      • Die oft befürchtete Kolonisation der Implantatoberflächen mit Bildung von antibiotikaresistenten Biofilmen führt in den bisher vorliegenden Studien nicht zu einer längerfristigen Unterhaltung der Entzündung.
    • an der lumbalen und thorakalen Wirbelsäule vorzugsweise Vorgehen von dorsal, an der zervikalen Wirbelsäule von ventral
    • postoperativ antibiotische Behandlung wie oben unter Antibiotische Therapie genannt

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Mediane Dauer des Krankenhausaufenthaltes 31,5 Tage
  • Rezidiv in 1–22 % der Fälle, meist innerhalb des 1. Jahres

Komplikationen

Prognose

  • Infektionsbedingte Letalität innerhalb der ersten 30 Tage 5,2 % sowie im ersten Jahr 22,3 %2
    • Risikofaktoren für Versterben sind hohes Patientenalter, multisegmentaler Befall, chronisches Nierenversagen sowie Multimorbidität.

Verlaufskontrolle

  • Im Anschluss an die Akutbehandlung sind die weitere regelmäßige Kontrolle der Entzündungszeichen (Blutbild, CRP) sowie klinische Kontrollen erforderlich, um ein Rezidiv der Entzündung zeitgerecht zu detektieren.
    • Zu den Intervallen und den einzelnen Zeitpunkten der Kontrollen existiert jedoch keine Evidenz.
    • Beispielsweise möglich: 6 Wochen, 3 Monate, 6 Monate und 12 Monate nach Abschluss der antibiotischen Therapie

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Nach kausaler Therapie der akuten Erkrankung können Schmerzen weiterhin und unter Umständen verstärkt vorhanden sein und irrtümlich als Therapieversagen gewertet werden.
  • Schonung und Inaktivität sind bereits nach einigen Wochen mit einem Abbau der für die Stabilisierung der Wirbelsäule wichtigen Muskulatur verbunden.
    • Patient*innen mit ausgeprägten Ängsten vor Bewegung benötigen spezifische Informationen über Diagnose und Prognose und sollten schmerztherapeutisch interdisziplinär betreut werden.

Illustrationen

Diszitis.png
Diszitis mit paravertebralem Abszess bei einem zweijährigen Kind (MRT) (Quelle: Wikimedia Commons)

Quellen

Literatur

  1. Casser HR, Seddigh S, Rauschmann M. Acute Lumbar Back Pain. Dtsch Arztebl Int 2016; 113(13): 223-34. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Vettivel J, Bortz C, Passias PG, et al. Pyogenic Vertebral Column Osteomyelitis in Adults: Analysis of Risk Factors for 30-Day and 1-Year Mortality in a Single Center Cohort Study. Asian Spine J 2019; 13(4): 608-14. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster



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